2010/11/10

Test nr 2

Am vergangenen Montag stieg das Interesse an Heinz Riemer und seinem Hof dramatisch an. Seit einer Woche kommen die Spaziergänger nicht nur aus dem nahen Schiel, Horst und Todtshorn, um vor dem Hof Gerüchte zu tauschen, sie kommen auch aus Tostedt, Hollenstedt und Sittensen.

Denn vor einer Woche kapitulierte Riemer vor den Schulden, vor den Nachbarn und vor dem Leben. Er schied nicht leise von dieser Welt, er inszenierte seinen Tod, als wolle er sicher sein, daß sich die Bauern in und um Riepshof noch in ein paar Jahrzehnten das Maul über ihn zerreißen.

Riemer brachte sich um, weil er den Tratsch vor seinem Haus nicht mehr ertrug und weil er nicht mehr ankam gegen das, was in den Berichten zur Lage der Nation knapp "Agrarkrise" genannt

* Bei seiner Kanada-Reise Anfang der neunziger Jahre. --- S.130

wird. 15 000 Landwirte gaben im letzten Jahr ihre Höfe auf. Viele waren Milchbauern und Rinderzüchter wie Riemer, die resignierten, weil sie nicht mehr Milch produzieren durften und ihre Viecher immer weniger Geld brachten.

Riemers Abstieg begann Anfang der neunziger Jahre. Zu diesem Zeitpunkt besaß er einen der größten Höfe in der Gemeinde, rund 500 Morgen Land, dazu 100 Milchkühe und 200 Rinder, außerdem arbeitete er während der Saat- und Erntezeit als Lohnunternehmer für andere Bauern, die wie er auf ihren Äckern Mais anbauten. Und er verkaufte Düngemittel. Das Melken der Kühe und die Arbeit auf den Feldern erledigte er zusammen mit seiner Mutter und einem Bekannten aus Polen, der monatsweise aushalf.

Es war viel Arbeit, selbst für einen Landwirt, und die Leute im Dorf sahen Riemer selten. Zu diesem Zeitpunkt gaben mehrere Landwirte in der Gemeinde ihre Höfe auf, weil sie nicht den Mut oder das Geld hatten, ihre Betriebe zu vergrößern. Der Neid auf den offenbar so erfolgreichen Riemer wuchs, und sein Hof wurde das Ziel von Sonntagsfahrten.

Aber Riemer ging es längst nicht so gut, wie es schien.

2010/10/19